Ist der Religionssoziologe, Massimo Introvigne, der sich seit Jahren mit Scientology befasst, wirklich objektiv, wenn es um die fundamentalistische, demokratiefeindliche und gewinnorientierte Wirtschaftssekte geht?

Immer wieder haben wir Unterwanderung erwähnt, z. B. schreibt Planet Wissen u.a.:

«WISE ist der Dachverband eines weltweiten Unternehmensnetzwerks mit dem Ziel, die Ideologie und Technik von Scientology in Wirtschaft, Behörden und Verbänden zu verankern und der Organisation Geld zu beschaffen. Weil offene Anwerbung von Unternehmen oft nicht funktioniere, würden Unternehmen auch unterwandert, so der Verfassungsschutz NRW.»

Unterwanderung findet an vielen Orten statt und ebenso viele Firmen, Institutionen, Religionen und Personen werden dabei involviert. Dass die Beeinflussung aller Instanzen eine zentrale und bedeutende Rolle spielt, ob mit Argumenten, Geld, Boni, kostenlose Ferien oder anderen grosszügigen Geschenken ist offensichtlich.

Was zum Teufel führt jedoch dazu, dass ein Religionssoziologe unserer Ansicht nach Scientology in Schutz nimmt und ihre Praktiken mit «sich an Gesetze halten» zu erklären versucht? Bestimmt keine der oben erwähnten Anreize…

Zuerst hier jedoch eine kurze Erklärung, was ein Religionssoziologe ist und was er so macht. Wikipedia schreibt dazu folgendes:

«Die Religionssoziologie ist ein Spezialgebiet der Soziologie und zugleich der Religionswissenschaft. Sie befasst sich mit den sozialen Voraussetzungen von Religion, mit den sozialen Formen, die Religion annimmt, und dem Einfluss von Religion auf Gesellschaften sowie mit dem Einfluss der veränderten Gesellschaft auf die Religion. Die Religionssoziologie deckt hierbei ein weites Feld ab und reicht von Beiträgen zur Gesellschaftstheorie (die z.B. die Funktion von Religion für die Gesamtgesellschaft beschreiben) bis zur mikrosoziologischen Untersuchung einzelner religiöser Gruppen und religiöser Praktiken.»

Für uns ist es daher naheliegend, dass Religionssoziologen bei ihren wissenschaftlichen Recherchen stets unvoreingenommen und objektiv bleiben sollten. Oder doch nicht? Denn bereits 1962 schrieb Edgar Vogt in seinem Buch «über das Problem der Objektivität in der Religionssoziologischen Forschung». Und genau darum geht es nun – aber bitte lest doch selbst.

Der italienische Religionssoziologe Massimo Introvigne hat in seinem Magazin «Bitter Winter» aktuell fünf Berichte zu Scientology geschrieben. Was und wie er schreibt ist einfach unfassbar und uns stellen sich die Nackenhaare auf gefolgt von einem mürrischen Knurren.

Introvigne ist auch Gründer und Geschäftsführer des «Centre for Studies on New Religions – CESNUR», einem internationalen Netzwerk von Wissenschaftlern, die neue religiöse Bewegungen untersuchen, er hat etwa 60 Bücher auf Italienisch und mehr als 100 Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften zu Themen wie neue religiöse Bewegungen, religiöser Pluralismus in der modernen Gesellschaft und moderne westliche Esoterik verfasst und im Jahr 2011 war Massimo Introvigne der Vertreter des Vorsitzenden der Kommission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung.

Es ist einfach unglaublich, was er schreibt – wir erwähnen hier nur einzelne Passagen aus seinen 5 Berichten:

«Scientology, weltliche Gerichte und Richtlinien zur Trennung/Fair Game 1. Schützt die Ethik der Scientology Straftäter vor der weltlichen Justiz? Einfach gesagt, die Antwort ist nein. Unterschiedliche Interpretationen bringen die internen kirchlichen Gerichte der Kirche und die Beziehung von Scientology zu weltlichen Gerichten durcheinander.»

Dem können wir noch zustimmen, obwohl Scientology sehr wohl das Gefühl hat, mit ihrer Ethik Kommission «über allem» zu stehen, was jedoch alles andere als den Tatsachen entspricht. Bereits der nächste Satz lässt aufhorchen:

«Von Zeit zu Zeit kommt es zu Kontroversen über Scientology, die von abtrünnigen Ex-Mitgliedern und der sogenannten Anti-Kult-Bewegung angeheizt werden».

Das ist doch bereits eine ganz klare Aussage, wenn Introvigne bereits jetzt von «Abtrünnigen» und von «anheizen» spricht. Wow. Ein weiterer Auszug «Auch die Methodik, mit der die Ethik von Scientology angegriffen wird, ist oft fehlerhaft.»

«Wer eine Religion mit handverlesenen kurzen Zitaten kritisiert, läuft immer Gefahr, ihre Lehre falsch zu verstehen.» Ja, hier zitieren wir zwar nur kurze Aussagen oder Textpassagen aber wer uns bereits kennt, weiss, wie viele und sehr ausführliche Blogartikel wir über Scientology und ihre Vorgehensweise und Methoden geschrieben haben. Und sonst könnt ihr alle Artikel gerne nachlesen.

Und weiter: «Im Fall von Scientology sollte man lernen, ihre Texte zu lesen und sorgfältig zu unterscheiden, was ihre internen kirchlichen Gerichte betrifft und was die Beziehungen betrifft, die Scientologen mit externen weltlichen Gerichten aufbauen. Vielleicht mögen es einige weltliche Richter nicht, wie diese kirchlichen Gerichte arbeiten, aber sie haben kein Recht, sich in sie einzumischen.»

Sehr wohl wenn es um Straftaten geht wie im Fall Danny Masterson, der wegen angeblicher mehrfachen Vergewaltigung in den USA vor Gericht steht. Da hat umgekehrt Scientology KEIN Recht, sich mit irgendwelchen Ethik Aussagen einzumischen.

Und wir müssen laut lachen wenn er im zweiten Artikel schreibt: «Eine unterdrückerische Person ist ein Nicht-Scientologe, der versucht, Scientology zu zerstören.»

Zerstören? Echt jetzt? Was sind das für Ausdrücke eines Religionssoziologen? Es scheint so, dass er blind den Worten von L. Ron Hubbard folgt und dies ist wirklich sehr bedenklich. Wo haben wir zum Beispiel je in einem Blogartikel geschrieben «Scientology zerstören zu wollen»?

Dann folgen weitere, ebenfalls erstaunliche Worte von Introvigne:

«Zu den umstrittensten Merkmalen der Scientology-Ethik gehören die Begriffe „unterdrückerische Personen“, „Freiwild“ und „potenzielle Störquellen“. Sie werden oft falsch interpretiert und bedürfen der Klärung durch Einordnung in den historischen Kontext.»

Da braucht es überhaupt keine Einordnung in den historischen Kontext. Es geht hier ganz einfach um spezielle Ausdrücke, die L. Ron Hubbard für die Ewigkeit zementiert hat und es geht um OSA Methoden, die vom eigenen Scientology Geheimdienst umgesetzt werden – auch heute noch – der beste deutschsprachige Artikel ist der Arte Bericht Die Spitzel von Scientology: Der Sektengeheimdienst OSA Doku (2014).

Im vierten Bericht mit dem Titel 4. Disconnection – Trennungsbefehl wird erwähnt: «Obwohl einige Kritiker anders argumentieren, bestätigt eine Untersuchung der von Scientology in den folgenden Jahren erstellten Texte, dass die Praxis des «Trennungsbefehls» tatsächlich eingestellt wurde und mehrere andere alternative Techniken eingeführt wurden, um mit dem PTS – potenzieller Unterdrücker umzugehen. Die Trennung wurde jedoch effektiv wiederhergestellt, wenn auch als Ausnahme «in sehr wenigen Fällen» und ohne übermässige Publizität.»

Aha, alternative Techniken… Klar! Und am Schluss des vierten Artikels schreibt er, fast erklärend und um Hilfe rufend:

«Wichtig ist, dass er (L. Ron Hubbard) wiederholte, dass „nichts in diesem HCOB jemals oder unter keinen Umständen Verstösse gegen die Gesetze des Landes rechtfertigen wird. Jede solche Straftat muss den Täter den gesetzlich beschriebenen Strafen sowie ethischen und rechtlichen Massnahmen unterwerfen.“

So kann man das Hickhack betr. Trennungsbefehl, Einführen, Abschaffen, wieder Aufheben aber nur in seltenen Fällen anwenden auch «sehr schön» erklären und es sind einfach nur unglaubliche Aussagen dieses italienischen Religionssoziologen aus Turin.

Was für ein Schlag ins Gesicht für alle Aussteiger, welche genau unter diesem Trennungsbefehl nach ihrem Ausstieg heute noch darunter leiden! Dass Introvigne nur «sehr wenige Fälle» erwähnt, löst bei uns nur ein weiteres Kopfschütteln aus – hier der Rundschaubericht aus dem Jahr 2020, der glasklar aufzeigt, dass es den Trennungsbefehl gibt und auch junge Schweizer Aussteiger davon betroffen sind: Scientology-Aussteigerin Andrea Buschor liest den Brief ihrer Mutter vor.

Im fünften Artikel beschäftigt sich Introvigne mit dem Thema Sind die Richtlinien von Scientology „illegal“?». Der Religionssoziologe spricht in diesem neuen Artikel über die internen Ethik-Richtlinien von Scientology und behauptet folgendes: «Keine der Ethikrichtlinien der Scientology Kirche kann als gegen die Gesetze eines demokratischen Landes verstoßend betrachtet werden.»

Auch hier starke Aussagen, denn in unserem Blogartikel Scientology und die Menschenrechte haben wir geschrieben, dass

«Laut Aussagen von Experten und von Aussteigern gibt es ein Menschenrecht innerhalb der Scientology Gemeinschaft gar nicht. Die Scientology Mitglieder werden mittels Auditing dazu erzogen, zu gehorchen. Keine Kritik auszuüben. Und schon gar nicht negativ über Scientology zu denken!

Scientologen können sich innerhalb der Organisation an niemanden wenden, werden von «oben herab» behandelt und sind dazu verurteilt, die abgedroschenen Phrasen von L. Ron Hubbard wiederzugeben, die ihnen immer und immer wieder eingetrichtert worden sind.

Vor allem Kinder haben überhaupt keinen Schutz innerhalb dieser fundamentalistischen Weltorganisation, weil diese Kindheitsphase gemäss Hubbard’s Lehre (Lebensabschnitt) eines Menschen gar nicht existiert. Gemäss Hubbard’s Lehre sind Kinder «Erwachsene in einem Kinderkörper gefangene» und darum werden sie auch so erzogen.»

Zum Thema «Fair Game» schreibt Introvigne: «Die „Fair Game Policy“ wurde 1965 von Hubbard eingeführt und 1968 abgeschafft. Kritiker bezeichnen weiterhin jede Aktivität von Scientology als Reaktion auf Feindseligkeit und Belästigung als „Fair Game“, weil „Fair Game“ sofort etwas Unheimliches und Illegales suggeriert. Allerdings ist die Richtlinie nicht nur in den letzten 54 Jahren in Scientology nicht in Kraft gewesen, sondern in ihrer Formulierung von 1965 heißt es, dass diejenigen, die versucht hatten, Scientology zu zerstören und von Scientologen als Vergeltung missbraucht wurden, keine Wiedergutmachung durch die internen Ethikkommissionen von Scientology finden können. Es wurde nicht gesagt, dass illegale Handlungen nicht von weltlichen Gerichten bestraft werden sollten, und alle Scientology-Dokumente, die Freiwild erwähnten, bestanden darauf, dass Scientologen das Gesetz des Landes in allen Fällen respektieren sollten.

Dass das «Fair Game» tatsächlich immer noch existiert, zeigen unzählige Berichte aus den USA und viele Dokumentationen. Wer behauptet, dass diese OSA-Methode abgeschafft worden ist, hat echt keine Ahnung, was sich tatsächlich auch noch heute innerhalb und ausserhalb von Scientology abspielt!

Wir fragen uns natürlich, ob ein Religionssoziologe objektiv bleiben kann, wenn er selbst die «Ehrenamtlichen Geistlichen» von Scientology toll findet (wir haben Beweise). Und wir fragen uns, ob er sich überhaupt einmal mit Aussteigern befasst hat, wenn er von «abtrünnigen Ex-Mitgliedern» und von einer «sogenannten Anti-Kult-Bewegung angeheizt werden» spricht.

Die Objektivität und die wissenschaftliche Distanz scheinen hier verloren gegangen zu sein und wir fragen uns zum Abschluss immer noch: wie weit führen denn die Tentakel von Scientology?

Und auch hier darf der Humor nicht fehlen (ohne jeglichen Bezug auf unseren Text): das erste Bild zeigt irgendein Wissenschaftler, der etwas Verrücktes zusammen mixt und das zweite zeigt anschliessend, wie man das Ganze noch toll vermarkten könnte. Wunderbar…

Und hier die oben erwähnten Artikel von diesem Religionssoziologe aus Turin als Quellen-Nachweis:

Nr. 1: Schützt die Ethik der Scientology Straftäter vor der weltlichen Justiz?

Nr. 2: Unterdrückerische Personen und Freiwild

Nr. 3: Die Ursprünge der Trennung

Nr. 4: Trennung: Eine sich entwickelnde Richtlinie

Nr. 5: Sind die Richtlinien von Scientology „illegal“?

4 Kommentare zu „Ist der Religionssoziologe, Massimo Introvigne, der sich seit Jahren mit Scientology befasst, wirklich objektiv, wenn es um die fundamentalistische, demokratiefeindliche und gewinnorientierte Wirtschaftssekte geht?

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